DigiPolis21

März 3, 2017

Leerstandsmanagement im Quartier

BMUB-Workshop Neue Wohn- und Raumkonzepte. Wohnraum- und FLächennutzung im Zeichen von Energiewende und Klimaschutz
Dr. Armin König, Bürgermeister der Gemeinde Illingen

Thesen

Leerstandsmanagement hat nur dann eine Chance, wenn Neubaugebiete am Stadt- und Ortsrand verboten werden. Demografie bleibt ein Megathema, auch in Zeichen der Migration.

Was alle angeht, können nur alle lösen – und wenn sich ferne Erben verweigern, müssen sie gesetzlich dazu gezwungen werden im Sinne der Sozialpflichtigkeit des Eigentums.

Wer heute noch großflächigen XXL-Einzelhandel in nicht integrierten Lagen zulässt (z.B. Globus-Ansiedlung im Naturschutzgroßvorhaben Neunkirchen), tötet Innenstädte und Umlandgemeinden.

Kein top-down übergestülpten Konzepte wie BIDs. Lebendige Quartiersarbeit statt teure Eventkultur.

Leerstände? Gibt‘s die? Wir haben doch Zuwanderung!
Das sind die Fragen, die Bürgermeister und Stadtplaner in ländlichen Regionen zu hören bekommen.

Es gibt sie noch immer, die Leerstände, und es hilft nicht, die Augen davor zu verschließen, auch wenn das Thema nicht „sexy“ ist.

Demographischer Wandel ist nach wie vor Realität in Deutschland. Daran ändern weder Migration noch leicht steigende Geburtenzahlen etwas. Demografie bleibt ein Megathema, auch in Zeichen der Migration.

Und deshalb bleibt es bei der Erkenntnis, dass Leerstandsmanagement nach wie vor notwendig ist. Dieses Leerstandsmanagement hat nur dann eine Chance, wenn Neubaugebiete am Stadt- und Ortsrand in Schrumpfungsregionen verboten werden.

Bürgerinnen und Bürger müssen davon überzeugt werden, denn noch immer gibt es den großen Wunsch vieler junger Mensch, ein Eigenheim zu bauen – mit Vorliebe am Orts- oder Stadtrand. Deshalb ist auch Partizipation unverzichtbar. „Was alle angeht, können nur alle lösen“, hat Friedrich Dürrenmatt geschrieben. Um die Wohnungsprobleme in den Dörfern zu lösen, sind Gesetzesänderungen notwendig, die ungeachtet der Eigentumsrechte des Grundgesetzes auch leichtere Enteignungen ermöglichen, wenn in grober Weise gegen die Sozialpflichtigkeit verstoßen wird.

Und noch eine Erkenntnis muss greifen: Die Raumplanung muss ihre Aufgaben erfüllen, die Landesplanung muss Irrwege verhindern, wenn es um großflächigen Einzelhandel am Orts- oder Stadtrand geht. Im Zweifelsfall müssen auch Bürgermeister udn Gemeinderäte mit sanftem Druck des Landes vor Fehlentwicklungen geschützt werden. Wer heute noch großflächigen XXL-Einzelhandel in nicht integrierten Lagen zulässt (Globus-Ansiedlung im Naturschutzgroßvorhaben Neunkirchen), tötet Innenstädte und Umlandgemeinden.

Allerdings herrscht derzeit in deutschen Kommunen die Neigung vor, mit kurzfristigen Aktionen auf demographische und wirtschaftliche Herausforderungen zu reagieren. Statt langfristig Ziele abzustecken, um von kurzfristigen Veränderungen weitgehend unabhängig zu sein, versuchen nicht wenige Kommunen, gegenüber Wettbewerbern eine Sequenz temporärer Vorteile zu erzielen, um so wenigstens vorübergehend besser dazustehen. Das ist abwegig.

Abwegig sind auch top-down übergestülpte Konzepte wie die modischen BIDs, die nur in den seltensten Fällen die Probleme lösen. Auch teure Eventkultur laboriert nur an Symptomen. Notwendig ist stattdessen lebendige Quartiersarbeit.

Notwendig sind Kommunikation, Partizipation und die Bereitstellung ausreichender Ressourcen.

 

Dr. Armin König

 

 

 

Februar 12, 2017

Demografische Muster in Regionen

Filed under: Demografie,Uncategorized — Stadtwissen66 @ 11:17 pm

Regional heterogene Demografie

Es gibt nicht DEN demographischen Wandel in Deutschland. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und die Bertelsmann Stiftung haben den Blick dafür geschärft, dass der demographische Wandel regional nicht gleichmäßig erfolgt. Stattdessen verläuft die Entwicklung regional sehr heterogen.

Die Bertelsmann-Stiftung hat eine gespaltene Dynamik deutscher Regionen konstatiert. In einer Clusteranalyse auf der Grundlage von 8 Indikatoren (Bevölkerungsprognose, Altersprognose, Arbeitsplatzzentralität, Arbeitsplatzentwicklung, Arbeitslosenquote, kommunale Steuereinnahmen, Qualifikationsniveau der Einwohner, Anteil der Mehrpersonenhaushalte mit Kindern) hat Bertelsmann nicht weniger als 15 Demographietypen destilliert und definiert. Die Mehrzahl der Kommunen ist aber durch Stagnation oder Schrumpfung, geringe oder abnehmende Dynamik und zunehmende Alterung charakterisiert. Das ist wohl der wichtigste Trend.

Demographische Muster in Regionen

Die wichtigsten demographic patterns in den Regionen sind die Parallelität von Schrumpfung und Wachstum, verstärkte Wanderungsbewegungen (insbesondere Binnenmigration zu Lasten schwächerer ländlicher Räume), ethnische Heterogenisierung vor allem in urbanen Zonen, Unterauslastung der Infrastruktur, Erosionstendenzen in Stadtkernen und an Ortsrändern, Leerstände von Häusern und Geschäften, Industriebrachen und Brain Drain.

Zu den wichtigsten Risiken gehören ein erhöhtes Pflegerisiko, wachsender Bedarf an alternsgerechten Häuser und Wohnungen sowie erhebliche Finanzierungsrisiken im Gesundheits- und Sozialbereich, deren Bewältigung bis heute nicht annähernd geklärt ist.

Die großen demographischen Trends (Fertilität, Alterung) lassen sich kurzfristig nicht steuern. Sie sind abhängig von langfristigen persönlichen Einstellungen und sozialen Prägungen der Einwohner. Teilbereiche lassen sich allerdings mittelfristig steuern, wenn rechtzeitig präventiv gehandelt wird. Da demographischer Wandel langsam erfolgt, können ohne Hektik Anpassungen erfolgen. Je früher dies erfolgt, um so eher versprechen sie Erfolge, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Es nutzt nicht, die Augen vor den Risiken und Problemen zu verschließen. Von selbst werden sich die Probleme nicht lösen. Sie sind auch zu gravierend, als dass man sie jetzt noch außer acht lassen könnte.

 

Dr. Armin König

Januar 19, 2017

Vom Leerstand zum Illinger JUZ: Partizipative Politik als Chance für junge Menschen (3)

Filed under: Demografie,Jugend,Kommune,Politik,Uncategorized — Stadtwissen66 @ 11:58 pm

Generationen übergreifende Kooperation als Schlüssel zum Erfolg

Die partizipationserfahrenen Workshopteilnehmer institutionalisierten ihre Kooperation und gründeten unter dem Dach der Gemeinde 2005 die „Kommission neues JUZ“, die sehr motiviert an die Arbeit ging. Ihr gehörten drei Mitglieder des JUZ, drei Mitglieder des Gemeinderats, der Bürgermeister, der Ortsvorsteher, der Jugendpfleger, der Bauamtsleiter und ein Architekt an. Nach der Klärung des Raumbedarfs tauchte wie schon bei das Gaswerkhalle das Finanzierungsproblem auf, das diesmal allerdings mit Hilfe des Förderprogramms Soziale Stadt/lebenswerte Stadtstrukturen gelöst werden konnte.

2006 erfolgte der Durchbruch. Der Gemeinderat fasste den Grundsatzbeschluss für ein neues JUZ in der Poststraße, partizipativ wurde geplant, geändert, revidiert, mit Zuschussgebern verhandelt, bis schließlich das Konzept stand. Positiv vermerkt das JUZ, dass „stets Gemeindemitglieder, Handwerker und auch die JuZler selbst in den gesamten Prozess mit einbezogen [waren], bis im Sommer 2007 die Arbeiten aufgenommen wurden“. Zwar lief auch weiterhin nicht alles nach Plan, da beispielsweise durch das Nichtraucherschutzgesetz erneute Änderungen notwendig wurden, aber die Gefahr des Scheiterns bestand nun nicht mehr.

 

Jugendliche selbst aktiv: Ein Musterbeispiel für Sozialkapital

Nachdem von Profis die notwendigen statischen und gebäudetechnischen Änderungen vorgenommen worden waren, konnten die Jugendlichen ab März 2008 selbst aktiv werden. Das war ein Musterbeispiel für Sozialkapital: Die JUZ’ler entfernten Tapeten, vergipsten und verputzten Wände, brachten Farbe auf, engagierten sich bei der Beleuchtungseinrichtung und bei Probenräumen, sorgten für technische Ausrüstung und Internet-Standards. Oft waren sie am Ende ihrer Kräfte, wie sie in ihrer Chronik schrieben, aber sie hatten „die lang ersehnte Eröffnung vor Augen“ (http://venyoo.de/veranstaltungsort/8435/juz-illingen) und „rissen sich zusammen“ (a.a.O.). Die Eigenmotivation hatte Erfolg, das JUZ wurde bezogen, und die Beteiligten waren durchweg sehr zufrieden.

Im Fazit der Jugendlichen heißt es: „Man kann also sagen, dass jeder einzelne, der am Aufbau dieses neuen Jugendzentrums beteiligt war, sein bestes gegeben hat, seien es nun die Politiker, die Verwaltung, die Handwerker, die Sponsoren, die vieles erst ermöglicht haben, oder die Jugendlichen selbst. Nicht zu vergessen sind auch das Ministerium für Umwelt und die Europäische Union, die den Umzug mit Fördermitteln ebenfalls unterstützten und ermöglichten. Alles in allem war es ein Gemeinschaftsprojekt, das ohne die Hilfe des anderen nicht funktioniert hätte. Diese Idee, die 12 Jahre lang auf ihre Verwirklichung wartete, konnte nur so realisiert werden.“ (a.a.O.)

Trotz aller Hindernisse, Probleme, Enttäuschungen und Rückschläge wurde das Projekt Jugendzentrum zu einem Erfolg partizipativer Lokalpolitik. Mit dem Demographie- und Zukunftsprojekt „Illingen 2030“ war der Entwicklungsrahmen gegeben, der dem JUZ-Projekt den nötigen Drive und die nötige Begründung gegenüber Ministerien gab.

 

Lokale Teilhabe der Jugend in Reinkultur

Das JUZ-Projekt bot den Partizipanten Lokalpolitik und Governance-Arrangements in Reinform. Sie mussten Interessen bündeln und artikulieren, Überzeugungsarbeit leisten, Mitstreiter finden, Netzwerke bilden, ihre Kooperation institutionalisieren, Rückschläge verkraften, sich nach drei Kommunalwahlen und zwei Bürgermeisterwahlen jeweils aktuell orientieren und mit neuen Partnern arbeiten und schließlich, als kaum noch mit dem Projekterfolg zu rechnen war, handwerklich arbeiten und organisieren, um möglichst viele neue Jugendliche ans JUZ heranzuführen. Inzwischen hatte ein kompletter Schülerjahrgang das Illtal-Gymnasium durchlaufen, waren drei Grundschul-Generationen zu Heranwachsenden geworden, die über ein dutzend Jahre im Provisorium „Alte Polizei“ auf bessere JUZ-Zeiten hofften. Am Ende hatten die Erfolg, die dicke Bretter bohrten und nie aufgaben und an ihr Ziel glaubten. Mit der tatkräftigen planerischen und handwerklichen Beteiligung brachten die Jugendlichen und ihre ehrenamtlichen Förderer Sozialkapital ein, Verwaltung und Politik ergänzten dies mit (Ver-)Handlungskompetenz, Engagement und Fachwissen. Möglich war dies nur, weil die jeweilige Chefebene in Verwaltung und Politik die hoch motivierten Jugendlichen unterstützten. Die lernten ihrerseits Politik auf der Handlungsebene, nicht aus dem Lehrbuch kennen. Sie wurden mit allem konfrontiert, was Lokalpolitik zu bieten hat und kamen mit Ebenen in Berührung, die sie sonst kaum kennengelernt hätten – bis hin zu Landesministerien und Brüsseler Generaldirektionen. Damit vermittelte das Projekt ganz nebenbei politische Handlungskompetenz. Die Erwachsenen in Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit erfuhren ihrerseits, dass viele öffentlich vermittelte Jugend-Stereotype falsch oder zumindest tendenziös sind.

Das Projekt verlief nie kontinuierlich, die Komplexität des Projekts sorgte immer wieder für Ausschläge ins Positive und ins Negative. Es gab Brainstorming-Phasen, Euphorie, positive Zwischenergebnisse, Enttäuschungen, weil sich Ergebnisse kreativer Arbeit nicht realisieren ließen, Rückschläge, Ruhephasen, Hintergrundgespräche, Vermittlungen, Verhandlungen, Überraschungen, emergente Ereignisse, Bündnisse auf Zeit, Planungsphasen, Konsolidierungsphasen, revidierte Planungen, formalisierte und institutionalisierte Projektierungen für Zuschussgeber und schließlich die partizipative Umsetzung der Ideen. Letztlich war das JUZ-Projekt eines der erfolgreichsten und ungewöhnlichsten Partizipationsprojekte der Gemeinde Illingen. Die Beteiligten hoffen, dass es auch zu den nachhaltigsten gehören wird.

 

 

 

Januar 18, 2017

Vom Leerstand zum Illinger JUZ: Partizipative Politik als Chance für junge Menschen (2)

Filed under: Demografie,Jugend,Kommune,Politik,Uncategorized — Stadtwissen66 @ 11:57 pm

Fallstudie JUZ Illingen: Vom Bohren dicker Bretter

Illingen hat aus der Vergangenheit vielfältige Erfahrungen mit der Partizipation Ju-gendlicher. Diese war nicht immer konfliktfrei, hat aber seit Gründung des Jugendzentrums JUZ eine institutionelle Basis gefunden, die Teilhabe und Selbstbestimmung auf unterschiedlichen Ebenen erlaubt. Am Beispiel des neuen Jugendzentrums soll dargestellt werden, wie trotz großer Hindernisse ein wichtiges Projekt kooperativ realisiert wurde. Das Bohren dicker Bretter hat sich am Ende für alle gelohnt.

Partizipation zwischen Euphorie und Enttäuschung

Seit 1995 wurde in Illingen über eine dauerhafte Unterbringung des Jugendzentrums diskutiert. Das Thema spielte im ersten Bürgermeister-Urwahlkampf 1995/96 eine wichtige Rolle und wurde auch in den Folgejahren mehrfach aufgegriffen. Dabei ging es um drei wesentliche Themen: Die Bereitschaft, Jugendlichen die Chance zu einem selbstverwalteten Jugendzentrum zu geben, die Standortfrage und die Frage der partizipativen Planung.

Das Jugendzentrum Illingen e.V. entstand 1996 aus der „Initiative Jugendbahnhof“. Die ursprüngliche Idee, den alten Illinger Bahnhof als JUZ zu nutzen, wurde allerdings verworfen, da der Bahnhof wegen der maroden Bausubstanz abgerissen werden musste.

Stattdessen hatte der Jugendzentrums-Verein mit Unterstützung der Verwaltung die Möglichkeit, einen Rathausanbau in einem ehemaligen Polizeitrakt als JUZ einzurichten. Dies wurde von Anfang an als Provisorium betrachtet, erwies sich aber als langlebige Übergangslösung, die zwölf Jahre JUZ-Domizil sein sollte. Prozesspromotoren für eine Zukunftslösung, die auf Nachhaltigkeit angelegt sein sollte, waren die Jugendlichen im ehrenamtlich organisierten JUZ-Verein und erwachsene Förderer, die in der JUZ-Bewegung sozialisiert worden waren sowie der Bürgermeister.

Intensive politische Diskussionen, an denen auch die Jugendorganisationen der Parteien beteiligt waren, mündeten in die Idee, die alte Gaswerkshalle zwischen kommunalem Bauhof und kommunalem Gaswerk umzubauen und als JUZ und kleine Eventhalle zu nutzen.

Mit einem Workshop kam das Projekt Verlegung des JUZ 2003 schließlich ins Rollen. An diesem Workshop nahmen Jugendliche, Verwaltung und lokale Politik teil. Es folgte ein Treffen der Promotoren mit Professoren des Fachbereichs Architektur der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW), die die Initialzündung für ein Bauprojekt gaben.

Auf Vorschlage der Jugendlichen lobte die Gemeinde Illingen in Kooperation mit dem HTW-Fachbereich Architektur einen Studierendenwettbewerb zur Umgestaltung der alten Gaswerkshalle aus. Der Wettbewerb fand große Aufmerksamkeit in Presse, Öffentlichkeit und lokaler Politik, die Preisträger wurden gefeiert, für den „großen Wurf“ fehlte aber das Geld. Das Projekt drohte zu scheitern. Doch weder JUZ-Verein noch Politik noch Bürgermeister wollten kampflos aufgeben. Alternativen wurden gesucht und gefunden (ein ehemaliges Gewerkschafts- und späteres Geschäftshaus im Zentrum, das zum Verkauf stand) und wegen nicht erfüllbarer Preisvorstellungen wieder verworfen.

Die Beteiligten sahen trotz dieser Enttäuschungen Chancen auf eine Realisierung, weil durch den Workshop eine Vertrauensbasis zwischen Jugendlichen, Erwachsenen aus dem Förderverein, Bürgermeister, Ortsvorsteher, Fraktionen, Jugendpfleger, Bauamtsleiter und Architekten geschaffen war, die zum Weitermachen animierte. Nur wenige Meter vom (verworfenen) Möbelhaus ergab sich in der Poststraße eine neue Chance. Aus dem „alten Arbeitsamt“ wurde organisatorisch die Arbeitsagentur, die zunächst in neue Räume umzog und schließlich den Standort Illingen ganz aufgab. Das „alte Arbeitsamt“ erweiterte zwar die Liste der Leerstände in der Kommune, die JUZ-Promotoren sahen aber dadurch erstmals realistische Zukunftsperspektiven und brachten eine Umnutzung ins Gespräch.

Armin König

 

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Januar 17, 2017

Vom Leerstand zum Illinger JUZ: Partizipative Politik als Chance für junge Menschen (1)

Notwendigkeit jugendfreundlicher Gemeindeentwicklung

Dass demographischer Wandel unmittelbar mit Generationenpolitik zusammenhängt, ist evident und braucht nicht gesondert begründet zu werden. Das betrifft einerseits die Gruppe älterer Menschen und deren Bedürfnisse. Andererseits dürfen im Zuge der demographischen Entwicklung auch die Jugend-Interessen nicht vernachlässigt werden.

Die Alterung der Gesellschaft könnte zwar dazu motivieren, den politischen Schwerpunkt künftig auf Seniorenpolitik zu legen, zumal dort das größte Stimmenpotenzial zu erwarten ist. Ich möchte aber an dieser Stelle dafür plädieren, beim demographischen Wandel auch der Jugendpolitik einen besonderen Stellenwert zu geben.

Ungeachtet des demographischen Trends haben Kommunen die Chance, durch jugendfreundliche Gemeindeentwicklung auch für junge Menschen attraktive Lebensbedingungen zu schaffen und damit die gemeindlichen Zukunftsperspektiven zu optimieren.

Himmel hat in einer Studie zur „Verbesserung der Lebensqualität Jugendlicher in ländlichen Regionen durch jugendfreundliche Dorfentwicklung“ (Himmel 2007) festgestellt, dass in diesem Bereich zahlreiche Defizite gibt. Das betrifft Freizeitmöglichkeiten und Treffpunkte für junge Menschen, Mobilitätschancen für nicht motorisierte Jugendliche, aber auch die „Integration der Jugendlichen in die Dorfgemeinschaft“ (Himmel 2007:31) und ihre Einbindung in politische Planungs- und Entscheidungsprozesse. Problematisiert wird, dass spezielle Angebote für Mädchen fehlen. Schließlich wird festgestellt, dass die Partizipation von Jugendlichen in den untersuchten Gemeinden „insgesamt als defizitär bezeichnet werden“ (Himmel 2007:37) müsse, weil sie nicht kontinuierlich erfolge. Himmel empfiehlt deshalb die Partizipationsmöglichkeiten Jugendlicher zu verbessern, bei der räumlichen Planung Möglichkeiten der „Kommunikation, Selbstdarstellung, Bewegung und Interaktionen mit anderen“ (Himmel 2007: 48) vorzusehen.

 

Armin König

Januar 16, 2017

Der demographische Wandel ist in Westdeutschland angekommen und zeigt Wirkung (2)

Filed under: Demografie,Kommune,Politik,Uncategorized — Stadtwissen66 @ 11:51 pm
  1. Paradigmenwechsel in der Flächenpolitik

 

Einen echten Paradigmenwechsel, der landesweit für Aufsehen sorgte, gab es in der Flächenpolitik. Der Gemeinderat entschied sich angesichts der Leerstandsprognosen aus dem Demographiecheck, keine Neubaugebiete im Außenbereich mehr auszuweisen, damit Flächen und Kosten zu sparen und stattdessen die Innenentwicklung der Gemeinde zu forcieren. Dazu war viel Überzeugungsarbeit notwendig, zumal die Ausweisung von Neubaugebieten in der Vergangenheit als Garant für erfolgreiche Kommunalpolitik galt. Das ist sie heute nicht mehr. Die Dissertation kommt zu dem Schluss, dass die Ausweisung von Neubaugebieten im Außenbereich in Schrumpfungsregionen unwirtschaftlich und ökologisch nachteilig ist und deshalb landesplanerisch eingeschränkt oder ganz verboten werden sollte. Dieser Befund führte im Land zu zahlreichen Diskussionen.

Als Ziel führend erwies sich die Auflegung des ersten kommunalen Abrissprogramms im Saarland. Dadurch lassen sich Bürger aktivieren, städtebauliche Probleme mit gemeindlicher Unterstützung selbst zu lösen und Raum für Neues zu schaffen. Das Programm trägt den Namen “Platz da!” und setzt auf Information und Provokation mit Häuser-Transparenten wie “Mich hat’s zuerst erwischt” oder “Ich bin als nächstes dran”. Mit solch spektakulären Aktionen wurde Problembewusstsein geschaffen. In engagierter Quartiersarbeit stellten die sensibilisierten Einwohner der Gemeinde ein Zeitbudget zur Verfügung, um nach dem Abriss einer Bauruine einen Gemeinschaftsplatz als Quartierstreffpunkt zu schaffen. Zum Leuchtturmprojekt aber wurde die Idee von Eltern, anstelle eines maroden Kindergartens, der vor der Schließung stand, ein Kinderhaus mit Betreuungsangeboten von der Krippe über die Kita bis zur Ganztagsbetreuung der Grundschule zu bauen. Die Architektin Eva Steinebach wählte die Form eines geöffneten Buches und machte damit Bildung zu einem zentralen Motiv. Zwar sind mittlerweile im Zug des Geburtenrückgangs drei Grundschulen in der Gemeinde geschlossen worden, dafür ist das Angebot konzentriert worden. Das Ganztagsangebot ist jetzt so gut wie nie zuvor, das pädagogische Angebot ist verlässlich und qualitativ besser geworden. Schule und Kita kooperieren. Nebenbei entstand ein neuer Dorfmittelpunkt, die Grundschule wurde mit Mitteln des Konjunkturprogramms 2 saniert.

Eine leer stehende Grundschule im Nachbarort wurde privatisiert und in eine Schaukäserei umgewandelt, die regionale Produkte herstellt und vermarktet. Kombiniert wird dies mit einem Erlebnisweg “Rund ums liebe Vieh” – was Kindern nun wieder die Chance gibt, Kühe, Ziegen und Hühner live zu erleben.

 

  1. Deutschland stirbt nicht aus, altert aber

 

Die wichtigsten Erkenntnisse und Folgen des Projekts sind in der Dissertation in 30 Thesen zusammengefasst. Die wichtigsten: Deutschland stirbt nicht aus, altert aber. Alterung, Schrumpfung, Heterogenisierung und Migration wirken sich auf fast alle lokalen Politikfelder aus und sind empirisch nachweisbar. Die Schrumpfung erfolgt regional unterschiedlich, nimmt aber generell zu. Mittlerweile ist die Mehrzahl der Bundesländer davon betroffen. Der drastische Geburtenrückgang der letzten Jahre beruht auf soziologischen Veränderungen und Prägungen, die sich kurzfristig nicht ändern lassen und insbesondere lokal nicht gesteuert werden können. Geburtsprämien und ähnliche gut gemeinte Förderprogramme machen immer weniger Sinn, je mehr Kommunen sie anwenden, zumal sie bisher nicht die erwünschten Erfolge gezeigt haben. Kurzatmiger Aktionismus verschwendet Ressourcen, die sinnvoller in die Anpassung der Infrastruktur gesteckt würden, um diese alternsgerecht und barrierefrei zu gestalten. Dagegen kann bei der mittelfristigen Gemeindeentwicklung in einem systematischen Prozess umgesteuert werden.

In zahlreichen Kommunalpolitikfeldern ist ein Paradigmenwechsel zu erwarten, vor allem in der Flächen- und Baupolitik. Neubaugebiete in Außenbereichen sollten in Schrumpfungsregionen nicht mehr genehmigt werden. Flächenschonung ist ökologisch und ökonomisch zwingend. Der Verzicht auf Neubaugebiete im Außenbereich setzt Verständnis für demographische Hintergründe bei Bürgern und Kommunalpolitikern sowie -verwaltungen voraus. Leerstandsmanagement (Vermarktung, Umnutzung, Abriss) ist ein Erfolg versprechendes Instrument in Schrumpfungsregionen. Schnelle Erfolge werden auch durch Quartiersarbeit erzielt. Ideelle und materielle Familienförderung, Bildung, aktive Gesundheitspolitik, Seniorenpolitik sowie die Bestandssicherung der ökonomischen Basis werden an Bedeutung gewinnen. Offensive Kinder- und Jugendpolitik und ein Ausbau der Betreuungseinrichtungen ist sinnvoll. Ob dies zu langfristigen Einstellungsänderungen beim Kinderwunsch führt, lässt sich aber derzeit nicht prognostizieren.

Angesichts der weit reichenden Folgen des demographischen Wandels für die Infrastruktur ist direkte Beteiligung der betroffenen Bürger bei der Zukunftsgestaltung eine Chance, Vertrauen aufzubauen und Konflikte zu entschärfen. Die Bürger sollen motiviert werden, „auf Augenhöhe“ mit Planern, Verwaltung und Politik zu arbeiten. Umfassende aufbereitete Informationen sind ebenso notwendig wie Diskussionen und Dialoge und die kurzfristige Umsetzung von Bürgervorschlägen in relevanten Politikfeldern. Die Letzt-Entscheidungskompetenz der Gemeindeorgane Bürgermeister und Rat wird bei der Bürgerbeteiligung nicht in Frage gestellt.

Ruinöser Wettbewerb der Kommunen muss unterbunden und durch lokale und regionale Arrangements ersetzt werden. Die Strategie soll darauf hinauslaufen, aktuelle Schrumpfungstrends zu akzeptieren, Anpassungsstrategien zu entwickeln, negative Effekte abzufedern und kooperativ neue Entwicklungspfade zu erproben.

Eine demographiesensible Politik muss verstärkt Rücksicht auf ältere Menschen nehmen. Gerade die Alterung ist der Haupttrend im demographischen Wandel. Deshalb sei Barrierefreiheit ein wesentliches Kriterium künftiger Planungen, zumal dies auch Familien zugute komme. Die Prioritäten der Politik müssten sich verschieben im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Systeme, Generationengerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit.

Umnutzungen öffentlicher Gebäude werden voraussichtlich in den nächsten Jahren in der kommunalen Politik eine wachsende Rolle spielen. Dies müsste durch Förderinstrumente des Bundes und der Länder finanziell unterstützt werden. Die Kommunen sollten ihrerseits ihre Planungsinstrumente intensiver und aktiver nutzen.

Interkommunale Zusammenarbeit gilt als eines der wichtigsten Instrumente zur Bewältigung des demographischen Wandels. Vor allem sollten mehr als bisher kommunale Pflichtaufgaben gemeinsam erledigt werden. Durch die Bundesländer kann dies mit Anreizsystemen unterstützt werden. Integrierte Entwicklungskonzepte und aktives Regionalmanagement sind sinnvolle Instrumente, um im demographischen Wandel mit den Bürgern zusammen Zukunftspolitik zu gestalten.

 

Dr. Armin König

 

Januar 15, 2017

Der demografische Wandel ist in Westdeutschland angekommen und zeigt Wirkung (1)

Filed under: Demografie,Uncategorized — Stadtwissen66 @ 11:49 pm
  1. Die Wahrheit ist den Bürgern zumutbar

 

Der demographische Wandel ist in Westdeutschland angenommen. Seine Effekte werden die kommunalpolitischen Schwerpunkte in den nächsten Jahren verändern. Doch Politik und Gesellschaft sind darauf bisher nicht eingestellt. Die kommunalpolitische Ebene versucht mit hohem Aufwand und geringem Erfolg, gegenzusteuern. Armin König (CDU), Bürgermeister der saarländischen Gemeinde Illingen und Mitglied im KPV-Fachausschuss Arbeit, Wirtschaft und Finanzen, plädiert in seiner Dissertation „Bürger und Demographie“ für einen anderen Ansatz: Kommunen sollten Schrumpfungs- und Alterungstendenzen als Fakt hinnehmen und darauf aufbauend Anpassungsstrategien entwickeln. Er sagt in Anlehnung an Ingeborg Bachmann: Die Wahrheit ist den Bürgern zumutbar. Und wer die Wahrheit sagt, wird sogar gewählt.

 

  1. Vom Zufallsbefund zur Demographieoffensive

 

Begonnen hat alles mit einem Zufallsbefund: Eine Studentin hatte in ihrer Diplomarbeit nachgewiesen, dass die Zahl leer stehenden Ein- und Zweifamilienhäuser im saarländischen Illingen in den letzten Jahren gestiegen war. Zwar war die Leerstandsquote mit 1,5 Prozent gering und marktüblich, doch fiel bei der Ursachenforschung auf, dass die Gemeinde viel schneller Einwohner verlor als bisher angenommen. Das lag an einer sehr niedrigen Geburtenrate – und dies trotz hervorragender Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Der Fluch der guten Tat: Viele Abiturientinnen und Abiturienten, die am Illtal-Gymnasium ihr Reifezeugnis erhielten, studierten außerhalb des Saarlandes und fanden auch dort hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Prominentester Vertreter dieser „Illtal-Bildungswanderer“ ist der Wirtschaftsweise Prof. Dr. Lars P. Feld. Die Analyse brachte ein weiteres Problem auf die Agenda: In über 500 Häusern leben nur noch Menschen über 70 Jahre. In Regionen mit hoher Eigenheim-Dichte, zu denen Illingen seit langem gehört, kann dies zu einer demographischen Zeitbombe werden. Wer dies rechtzeitig erkennt, kann die Entwicklung lokal steuern, denn demographische Prozesse erfolgen langsam. Man muss nur frühzeitig eingreifen. Das war die Geburtsstunde des Zukunftsprojekts Illingen 2030.

Weil Not erfinderisch macht, gingen die Illinger selbst in die Offensive. Sie sensibilisierten den damaligen Ministerpräsidenten Peter Müller und die damalige Innenministerin und heutige Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, sicherten sich Fördermittel und brachten „Illingen 2030“ als gefördertes Bürgerprojekt auf den Weg. Dabei setzten sie auf Mobilisierung, Information und Bürgerteilhabe durch Kommunikation. Sie nannten dies „MIT-KOMM“-Strategie, und dabei staunten sie, wie intensiv die Bürger mitmachten: Über 1000 Ehrenamtliche haben sich inzwischen an Informationsveranstaltungen, Zukunftswerkstätten, Zielgruppensitzungen und Quartierarbeit beteiligt. Demographieexperten und externe Moderatoren erläuterten die Grenzen des Wachstums, die Grundzüge des demographischen Wandels und erarbeiteten Ortsprofile, weil nicht mehr jedes Dorf alles selbst machen und vorhalten muss.

Die ersten wichtigen Erfolge erzielte die Gemeinde bei der Erfassung leer stehender Wohnhäuser und beim Leerstandsmanagement. Im Rahmen des saarländischen Modellprojekts „Melanie“ wurden die ursprünglichen Studenten-Daten von der Verwaltung und den Ortsvorstehern überprüft, ergänzt und korrigiert. Ein Planungsbüro analysierte die Problemgebiete der Zukunft und entwickelte daraus in Kooperation mit der Gemeinde einen Demographie-Check, der leicht anwendbar ist. Die ehemalige Museumsleiterin Dr. Andrea Berger spezialisierte sich als Bauamtsmitarbeiterin auf Leerstandsmanagement und offensive Bürgerberatung. Sie wurde Ansprechpartnerin für Bürger, Haus-Erben und Kaufinteressierte und sprach diese aktiv an. Durch diese offensive Verwaltungsstrategeie ging die Zahl der Hausleerstände zeitweise von 110 auf 30 zurück. Sie liegt trotz neu hinzugekommener Leerstände deutlich unter dem Ursprungswert. In weiteren Melanie-Projekten wurden Möglichkeiten zur Umnutzung von leer stehenden öffentlichen Gebäuden und zur innerörtlichen Verdichtung von Wohngebieten erprobt – im eher ländlich geprägten Saarland, wo Wohnhäuser mit großen Gärten und weiträumigem Außengelände die Regel sind, war dies eine radikale Kehrtwende.

 

Dr. Armin König

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