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Januar 16, 2017

Der demographische Wandel ist in Westdeutschland angekommen und zeigt Wirkung (2)

Filed under: Demografie,Kommune,Politik,Uncategorized — Stadtwissen66 @ 11:51 pm
  1. Paradigmenwechsel in der Flächenpolitik

 

Einen echten Paradigmenwechsel, der landesweit für Aufsehen sorgte, gab es in der Flächenpolitik. Der Gemeinderat entschied sich angesichts der Leerstandsprognosen aus dem Demographiecheck, keine Neubaugebiete im Außenbereich mehr auszuweisen, damit Flächen und Kosten zu sparen und stattdessen die Innenentwicklung der Gemeinde zu forcieren. Dazu war viel Überzeugungsarbeit notwendig, zumal die Ausweisung von Neubaugebieten in der Vergangenheit als Garant für erfolgreiche Kommunalpolitik galt. Das ist sie heute nicht mehr. Die Dissertation kommt zu dem Schluss, dass die Ausweisung von Neubaugebieten im Außenbereich in Schrumpfungsregionen unwirtschaftlich und ökologisch nachteilig ist und deshalb landesplanerisch eingeschränkt oder ganz verboten werden sollte. Dieser Befund führte im Land zu zahlreichen Diskussionen.

Als Ziel führend erwies sich die Auflegung des ersten kommunalen Abrissprogramms im Saarland. Dadurch lassen sich Bürger aktivieren, städtebauliche Probleme mit gemeindlicher Unterstützung selbst zu lösen und Raum für Neues zu schaffen. Das Programm trägt den Namen “Platz da!” und setzt auf Information und Provokation mit Häuser-Transparenten wie “Mich hat’s zuerst erwischt” oder “Ich bin als nächstes dran”. Mit solch spektakulären Aktionen wurde Problembewusstsein geschaffen. In engagierter Quartiersarbeit stellten die sensibilisierten Einwohner der Gemeinde ein Zeitbudget zur Verfügung, um nach dem Abriss einer Bauruine einen Gemeinschaftsplatz als Quartierstreffpunkt zu schaffen. Zum Leuchtturmprojekt aber wurde die Idee von Eltern, anstelle eines maroden Kindergartens, der vor der Schließung stand, ein Kinderhaus mit Betreuungsangeboten von der Krippe über die Kita bis zur Ganztagsbetreuung der Grundschule zu bauen. Die Architektin Eva Steinebach wählte die Form eines geöffneten Buches und machte damit Bildung zu einem zentralen Motiv. Zwar sind mittlerweile im Zug des Geburtenrückgangs drei Grundschulen in der Gemeinde geschlossen worden, dafür ist das Angebot konzentriert worden. Das Ganztagsangebot ist jetzt so gut wie nie zuvor, das pädagogische Angebot ist verlässlich und qualitativ besser geworden. Schule und Kita kooperieren. Nebenbei entstand ein neuer Dorfmittelpunkt, die Grundschule wurde mit Mitteln des Konjunkturprogramms 2 saniert.

Eine leer stehende Grundschule im Nachbarort wurde privatisiert und in eine Schaukäserei umgewandelt, die regionale Produkte herstellt und vermarktet. Kombiniert wird dies mit einem Erlebnisweg “Rund ums liebe Vieh” – was Kindern nun wieder die Chance gibt, Kühe, Ziegen und Hühner live zu erleben.

 

  1. Deutschland stirbt nicht aus, altert aber

 

Die wichtigsten Erkenntnisse und Folgen des Projekts sind in der Dissertation in 30 Thesen zusammengefasst. Die wichtigsten: Deutschland stirbt nicht aus, altert aber. Alterung, Schrumpfung, Heterogenisierung und Migration wirken sich auf fast alle lokalen Politikfelder aus und sind empirisch nachweisbar. Die Schrumpfung erfolgt regional unterschiedlich, nimmt aber generell zu. Mittlerweile ist die Mehrzahl der Bundesländer davon betroffen. Der drastische Geburtenrückgang der letzten Jahre beruht auf soziologischen Veränderungen und Prägungen, die sich kurzfristig nicht ändern lassen und insbesondere lokal nicht gesteuert werden können. Geburtsprämien und ähnliche gut gemeinte Förderprogramme machen immer weniger Sinn, je mehr Kommunen sie anwenden, zumal sie bisher nicht die erwünschten Erfolge gezeigt haben. Kurzatmiger Aktionismus verschwendet Ressourcen, die sinnvoller in die Anpassung der Infrastruktur gesteckt würden, um diese alternsgerecht und barrierefrei zu gestalten. Dagegen kann bei der mittelfristigen Gemeindeentwicklung in einem systematischen Prozess umgesteuert werden.

In zahlreichen Kommunalpolitikfeldern ist ein Paradigmenwechsel zu erwarten, vor allem in der Flächen- und Baupolitik. Neubaugebiete in Außenbereichen sollten in Schrumpfungsregionen nicht mehr genehmigt werden. Flächenschonung ist ökologisch und ökonomisch zwingend. Der Verzicht auf Neubaugebiete im Außenbereich setzt Verständnis für demographische Hintergründe bei Bürgern und Kommunalpolitikern sowie -verwaltungen voraus. Leerstandsmanagement (Vermarktung, Umnutzung, Abriss) ist ein Erfolg versprechendes Instrument in Schrumpfungsregionen. Schnelle Erfolge werden auch durch Quartiersarbeit erzielt. Ideelle und materielle Familienförderung, Bildung, aktive Gesundheitspolitik, Seniorenpolitik sowie die Bestandssicherung der ökonomischen Basis werden an Bedeutung gewinnen. Offensive Kinder- und Jugendpolitik und ein Ausbau der Betreuungseinrichtungen ist sinnvoll. Ob dies zu langfristigen Einstellungsänderungen beim Kinderwunsch führt, lässt sich aber derzeit nicht prognostizieren.

Angesichts der weit reichenden Folgen des demographischen Wandels für die Infrastruktur ist direkte Beteiligung der betroffenen Bürger bei der Zukunftsgestaltung eine Chance, Vertrauen aufzubauen und Konflikte zu entschärfen. Die Bürger sollen motiviert werden, „auf Augenhöhe“ mit Planern, Verwaltung und Politik zu arbeiten. Umfassende aufbereitete Informationen sind ebenso notwendig wie Diskussionen und Dialoge und die kurzfristige Umsetzung von Bürgervorschlägen in relevanten Politikfeldern. Die Letzt-Entscheidungskompetenz der Gemeindeorgane Bürgermeister und Rat wird bei der Bürgerbeteiligung nicht in Frage gestellt.

Ruinöser Wettbewerb der Kommunen muss unterbunden und durch lokale und regionale Arrangements ersetzt werden. Die Strategie soll darauf hinauslaufen, aktuelle Schrumpfungstrends zu akzeptieren, Anpassungsstrategien zu entwickeln, negative Effekte abzufedern und kooperativ neue Entwicklungspfade zu erproben.

Eine demographiesensible Politik muss verstärkt Rücksicht auf ältere Menschen nehmen. Gerade die Alterung ist der Haupttrend im demographischen Wandel. Deshalb sei Barrierefreiheit ein wesentliches Kriterium künftiger Planungen, zumal dies auch Familien zugute komme. Die Prioritäten der Politik müssten sich verschieben im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Systeme, Generationengerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit.

Umnutzungen öffentlicher Gebäude werden voraussichtlich in den nächsten Jahren in der kommunalen Politik eine wachsende Rolle spielen. Dies müsste durch Förderinstrumente des Bundes und der Länder finanziell unterstützt werden. Die Kommunen sollten ihrerseits ihre Planungsinstrumente intensiver und aktiver nutzen.

Interkommunale Zusammenarbeit gilt als eines der wichtigsten Instrumente zur Bewältigung des demographischen Wandels. Vor allem sollten mehr als bisher kommunale Pflichtaufgaben gemeinsam erledigt werden. Durch die Bundesländer kann dies mit Anreizsystemen unterstützt werden. Integrierte Entwicklungskonzepte und aktives Regionalmanagement sind sinnvolle Instrumente, um im demographischen Wandel mit den Bürgern zusammen Zukunftspolitik zu gestalten.

 

Dr. Armin König

 

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